A7 Ethische Überlegungen in der bewegungsbezogenen Gesundheitsförderung
- Artikel-Nr.: HV10566
- Freitextfeld 1: 11 Seiten
Annika Frahsa
Ethische Überlegungen befassen sich mit Voraussetzungen und der Bewertung menschlichen Handelns und dem methodischen Nachdenken über die Moral, d. h. über bestehende Handlungsmuster und Konventionen, gegenwärtig geltende Werte, Normen und Tugenden. Wissenschaftsethik fokussiert ethische Aspekte wissen-schaftlicher Forschung, insbesondere ethische Standards innerhalb der Wissenschaft, als auch gesellschaftliche Auswirkungen von Forschung.
In der bewegungsbezogenen Gesundheitsförderung finden ethische Überlegungen in unterschiedlichen Forschungsbezügen mit unterschiedlichen fachspezifischen Ethikcodes statt, in denen sich insbesondere medizinisch orientierte Public-Health-Ansätze und sozialwissenschaftliche Bezüge charakterisieren lassen. Diese unterschiedlichen relevanten Forschungsansätze beziehen sich wiederum auf unterschiedliche Interventionsformen, die dann die Menschen, die Teil der Forschung sind, aus diversen Perspektiven betrachten und potenziell durchaus Zielkonflikte in ihren Interventionen und anvisierten Ergebnissen mit sich bringen.
Ethische Überlegungen in der Medizin basieren auf den vier Prinzipien Selbstbestimmungsrecht von Patient*innen, Schadensvermeidung, Fürsorge und sozialer Gerechtigkeit (Beuachamp & Childress, 2019). Ethische Überlegungen in Public Health ergänzen diese Überlegungen rund um inter-individuelle Interaktionen in der Medizin um eine Ebene und stellen das Wohl der Gesellschaft, der Gesamtöffentlichkeit, in den Mittelpunkt. Auch in der sozialwissenschaftlich-ausgerichteten Forschung werden ähnliche ethische Grundsätze, wie das Prinzip der Sachlichkeit bzw. das Streben nach wissenschaftlicher Integrität und Objektivität, die Freiwilligkeit der Teilnahme an Studien auf Basis möglichst informierten Einverständnisses, das Prinzip der Nicht-Benachteiligung bzw. Schädigung sowie die Gewährleistung von Vertraulichkeit bzw. Anonymität, verfolgt (vgl. u. a. DGS, 2017). Das Prinzip einer informierten Einwilligung in Form einer informierten Einverständniserklärung wiederum kann bzw. soll in sozialwissenschaftlicher Forschung nicht immer umgesetzt werden (DGS, 2017; von Unger, Dilger & Schönhuth, 2016). Manche Ansätze beruhen gerade darauf, frei und nicht-offen im Feld zu agieren: So könnten umfassende Vorabinformationen Forschungsergebnisse in Beobachtungsstudien oder ethnographischen Projekten verzerren oder Forschung ganz verhindern (von Unger et al., 2016). Für die sozialwissenschaftliche bewegungsbezogene Gesundheitsförderung gibt es im deutschsprachigen Raum kaum ausdifferenzierte Strukturen, die den medizinischen Ethikkommissionen vergleichbar wären – von ersten sozialwissenschaftlichen Ethikgremien an einzelnen Universitäten/Fakultäten abgesehen. Sozialwissenschaftlich Forschende sind daher besonders gefordert, die Einhaltung ethischer Grundprinzipien selbst zu verantworten. In multi- und interdisziplinären Studien und Projekten werden sozialwissenschaftliche Teilprojekte in der Praxis oft bei medizinischen Ethikkommissionen mit eingereicht, was aufgrund der unterschiedlichen Forschungszugänge und Standards nicht immer konfliktfrei bleibt.
Dieses Kapitel skizziert forschungsethische Prinzipien und Diskussionen zu bewegungsbezogener Gesundheitsförderung aus Sicht der Medizin, Public Health und Sozialwissenschaft, leitet ethische Überlegungen in Bezug auf unterschiedliche Interventionsformen und Adressatengruppen von Interventionen ab, bevor es mit einer Diskussion zum informierten Recht auf Inaktivität schließt.